Quelle: Cronopis
Erstveröffentlichung: Dezember 2007
[Englisch, Spanischer, Portugiesisch und russische Übersetzung]

INTERVIEW MIT NICK BOSTROM UND DAVID PEARCE

Dave und Nick sind die beiden Gründer der World Transhumanist Association – einer nicht-kommerziellen Organisation mit der Zielsetzung, die menschlichen Fähigkeiten vermittels High Tech zu verbessern

ANDRÉS LOMEÑA: Transhumanismus – oder die Optimierung des Menschen – empfiehlt den Einsatz neuer Technologien, um geistige und körperliche Fähigkeiten zu verbessern und einige Aspekte, wie z.B. Dummheit, Leiden, usw. abzulegen. Sie wurden von Kritikern, die über „Future Hypes“ schreiben, als technoutopisch bezeichnet. Meiner Ansicht gibt es jedoch etwas wesentlich Übleres als Optimismus, nämlich radikalen Technopessimismus, verfochten von Paul Virilio, dem verstorbenen Baudrillard und anderen Denkern. Weshalb bestehen so starke Spannungen zwischen dem optimistischen und dem pessimistischen Ansatz?

NICK BOSTROM: Ich kann mich an keine Gelegenheit erinnern, bei der man mich persönlich als „technoutopisch“ bezeichnet hätte, obwohl dies sicher ein Begriff ist, der von einigen Kritikern auf den Transhumanismus angewandt wurde. Allerdings ist diese Kritik auch ein wenig berechtigt. Der Transhumanismus ist eine äußerst vielschichtige Bewegung, und einige, die sich Transhumanisten nennen, sollten vielleicht besser als „Technoutopisten“ bezeichnet werden, in dem Sinne nämlich, als sie „unkritisch den Standpunkt vertreten, dass die Technologie bald unweigerlich alle großen Probleme lösen wird“.

Ich weiß nicht, ob Technopessimismus schlechter oder besser ist als Technoutopismus. Mir scheint, dass wir versuchen sollten, Vorurteile nach beiden Richtungen zu überwinden – sowohl gegen die positiven als auch gegen die negativen Auswirkungen – und besser Wahrscheinlichkeiten zuordnen, und zwar auf der Grundlage von Beweisen und vernünftiger Beurteilung anstatt ideologischer und anlagebedingter Voreingenommenheit.

DAVID PEARCE: Ist unsere Lebensqualität in den technologisch fortschrittlichen Gesellschaften besser als die unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren in der afrikanischen Savanne? Die Antwort scheint ganz offensichtlich „Ja“ zu sein. Technopessimisten könnten dem jedoch entgegenhalten, dass die Belege, dass wir durchschnittlich glücklicher seien, dünn gesät sind, und diese Aussgage dann entsprechend extrapolieren. Eine solche Extrapolation ist jedoch vorschnell. Wir stehen kurz vor einer umfassenden Transformation der menschlichen Natur selbst. Theoretisch sind wir sogar in der Lage, die hedonische Tretmühle neu zu kalibrieren und anlagebedingt glücklicher zu werden – wir können den Pessimismus in die Vergangenheit verbannen. Technopessimismus kann durchaus nützlich sein, wenn er zu einem genaueren Abwägen der möglichen Folgen neuer Technologien führt, zur Planung von Worst-Case-Szenarien und zu einer verbesserten Risiko-Nutzen-Analyse. Aber wenn alle Menschen depressive Realisten wären, dann würden wir immer noch in Höhlen leben. Transhumanisten glauben, dass der Mensch seine körperlichen, intellektuellen, emotionalen (und moralischen?) Beschränkungen durch den verantwortungsvollen Einsatz von Technologie überwinden kann.

Wenn Sie mich fragen (ich bin von Natur aus Pessimist), ich glaube (vorläufig), dass Informations- und Biotechnologie uns Milliarden von Jahren unüberbietbares Wohlbefinden bescheren werden, wesentlich reicher als alles, was heutzutage machbar ist.

A.L. : Es gibt viele Ängste und noch mehr Ignoranz. Wikipedia systematisiert diese Befürchtungen: Undurchführbarkeit, das Gott-spielen-Argument, das Jungbrunnen-Argument, Brave New World-Argument, das Frankenstein-Argument oder Terminator-Argument (basierend auf „Our Final Hour“ von Martin Rees). Welche davon sind wirkliche (verständliche) Ängste und welche nicht? Häufiger Kritikpunkt ist die eschatologische Vision des Transhumanismus (wie z.B. auch beim Marxismus oder Christentum). Kurz, wie können wir uns gegen diese dystopischen Ansichten zu Wehr setzen?

N.B. : Sowohl von Fall zu Fall, als auch, indem wir versuchen, Tendenzen zu ermitteln, die in einem breiten Bereich Einfluss auf unser Urteilsvermögen nehmen könnten. Furcht ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, vorausgesetzt, sie bezieht sich auf eine tatsächliche Gefahr und führt zu einem konstruktiven Bestreben, diese zu vermindern. Es ist beispielsweise sinnvoll, sich über pandemische Krankheiten Gedanken zu machen, sowohl über solche, die auf natürliche Weise entstehen, als auch über die Möglichkeit von biotechnisch ungewollt erzeugten „Superbugs“ – Erregern mit einer erworbenen Antibiotika-Resistenz. Aber sich davor zu fürchten, dass man mit wirkungsvollen Verjüngungstherapien das Auftreten von Krankheiten und das Altern verzögern kann, ist geradezu pervers. Ehrlich gesagt, ich denke nicht, dass es viele Menschen gibt, die sich wirklich davor fürchten, obwohl einige sicher aus ideologischen Gründen dagegen sind. Um zu illustrieren, wie man vorurteilsbelastete Entscheidungen bei einer Reihe von Optimierungs-Themen feststellen und verhindern kann, verweise ich auf die Arbeit über die Tendenz zum Status Quo (http://www.nickbostrom.com/ethics/statusquo.pdf), die ich mit Toby Ord geschrieben habe.

D.P. : Hybris / Gott spielen? Was könnte „gottähnlicher“ sein, als neues Leben zu schaffen? Nicht alle Kulturen haben in der Vergangenheit eine Verbindung zwischen Sexualität und Reproduktion hergestellt; wir jedoch haben diese Entschuldigung nicht. Einerseits verdammen wir die Urheber von Computer-Malware, die einen korrupten Code verbreiten. Andererseit verbreiten wir freigebig unseren eigenen korrupten Code über die Generationen – ganz besonders eine tödliche genetische Krankheit (das Altern) und die Prädisposition für Angststörungen, Depressionen und andere üble darwin'sche Gemütszustände. Was ist – bei einer Weiterentwicklung der reproduktiven Medizin – falsch daran, als Eltern stattdessen verantwortungsvoll zu handeln? Warum sollten wir nicht die langfristige genetische Gesundheit und das Glück zukünftiger Generationen planen?

Verachtung des Fleisches / Jungbrunnen-Argument? Was könnte mehr Verachtung für das Fleisch zeigen als das Eintreten für darwin'sche Körper, die verfallen und sterben? Warum sollten wir, mit einem Ausreifen der genetischen Medizin, keine Baupläne für fortwährend jugendliche Körper entwerfen? Überdies werden wir bald die Möglichkeit haben, reichere Formen der Sinnlichkeit zu erkunden, unseren somato-sensorischen Kortex zu vergrößeren, sowie die molekulare Signatur der sexuellen Begierde zu isolieren und deren Substrate bei Bedarf zu verstärken. Das Transzendieren des Fleisches wäre eine Option, sie ist nicht zwingend.

Brave New World? Dieses Argument ist auf den ersten Blick schwieriger zu widerlegen. Jedoch könnte Biotechnologie eher den Einzelnen stärken als einen Staat. So führt beispielsweise eine Verbesserung der Stimmung in der Regel zu größerer persönlicher Autonomie und einer aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Umgekehrt geht ein niedriger Stimmungspegel oft mit Unterordnung und sozialem Rückzug einher. Huxleys Soma wurde fälschlicherweise als eine „ideale Glücksdroge“ bezeichnet. Eine wirklich utopische Pharmakologie wird das übertreffen.

Entmenschlichung / das Frankenstein-Argument? Sicher, Technologie kann entmenschlichen; und Biotechnologie kann Monster hervorbringen. Aber sie kann ebenso Heilige und Engel erschaffen. Weniger poetisch ausgedrückt: Wir werden schon bald in der Lage sein, uns zu „vermenschlichen“. Wir können unsere Fähigkeit zur Empathie biologisch verbessern – sei es durch eine funktioniale Verstärkung der Spiegelneuronen, durch die Verwendung von pro-sozialen Designerempathogenen, oder aber durch eine gentechnisch herbeigeführte fortwährende Oxytocin-Abgabe, was das soziale Vertrauen fördert. Werden wir es tun? Ich weiß es nicht.

Das Terminator-Argument? Bio-Terrorismus und „graue Schmiere“ sind wahrscheinlich die am meisten beunruhigenden Szenarien. Aber innerhalb der nächsten paar Jahrzehnte wird es sehr wahrscheinlich autarke Stützpunkte auf Mond und Mars geben. Selbst in den apokalyptischsten Szenarien wird das Risiko für das intelligente Leben auf diese Weise drastisch reduziert. Aus der Sicht des ethischen Utilitarismus ist es entscheidend, dass menschliche Wesen überleben, um post-human zu werden, da wir die einzige Spezies sind, die in der Lage ist, das Leiden aller fühlenden Wesen zu beseitigen. Auch sind wir die einzige Spezies, die klug genug ist, um intelligentes Glück in das gesamte erreichbare Universum zu tragen.

A.L. : Das größte Problem ist wahrscheinlich der Mangel an Informationen. Wir wissen wirklich nicht allzu viel über Transhumanismus, abgesehen von einigen Aufsätzen Fukuyamas (zunächst optimistisch, dann pessimistisch). Wir möchten Sie gerne nach den Verbindungen zwischen dem Transhumanismus und anderen Themenbereichen fragen, beispielsweise Transhumanismus und Religion: Betrachten Sie sich selbst als religiös? Gibt es einen atheistischen oder agnostischen Transhumanismus?

N.B. : Ich würde mich als agnostisch bezeichnen. Die meisten Transhumanisten sind wohl nicht-religiös, aber es gibt auch katholische, mormonische, buddhistische Transhumanisten, usw.

D.P. : Ich denke, es ist schwierig, den Transhumanismus mit einer Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen. Wenn wir im Paradies leben wollen, müssen wir uns umgestalten. Wenn wir das ewige Leben haben möchten, dann müssen wir unseren fehlerhaften genetischen Code überschreiben und gottähnlich werden. „Mögen alle, die leben, vom Leiden befreit sein.“ sagte Gautama Buddha. Eine wunderbare Vorstellung. Leider können aber nur High Tech-Lösungen das Leid in der belebten Welt jemals beseitigen. Mitgefühl allein ist nicht ausreichend.

A.L. : Transhumanismus und Eugenik: Sind alle Transhumanisten Eugeniker? Haben Sie bezüglich dieses Themas ein politisches Programm. Betrachten Sie sich als Lobby zukünftiger Generationen?

N.B. : Die World Transhumanist Association hat eine offizielle Erklärung verabschiedet, die alle Formen von neonazistischer Eugenik innerhalb der Organisation verbietet (dies als Reaktion auf einen Vorfall vor einigen Jahren, als einer oder zwei solcher Trolle versucht haben, die WTA zu infiltrieren). Transhumanismus befürwortet reproduktive Rechte neben anderen Menschenrechten. Wir tendieren zu der Meinung, dass es besser ist, die reproduktiven Entscheidungen in die Hände der Eltern zu legen, im Einvernehmen mit ihrem Arzt – und innerhalb weit gefasster staatlicher Richtlinien. Es wäre ethisch unakzeptabel und potentiell äußerst gefährlich, wenn von staatlicher Seite eine Einheitsformel verhängt würde, wie der Mensch der nächsten Generation aussehen soll.

Wäre ich ein Elter, würde ich es als meine moralische Pflicht betrachten, alle vernünftigen Schritte zu unternehmen, damit das Kind, das ich zur Welt bringen will, die besten Chancen auf ein gutes Leben hat. Wenn eine schwangere Frau den IQ ihres Kindes durch die Einnahme von Folsäure und Cholin und das Vermeiden von Alkohol, Tabak und schwermetall-belastetem Trinkwasser erhöhen kann, wäre es, denke ich, unverantwortlich, wenn sie diese einfachen Schritte unterlässt. In gleicher Weise – würden wir In-Vitro-Fertilisation anwenden und gäbe es einen simplen genetischen Test, der den Embryo mit den besten Genen für Gesundheit und andere wünschenswerte Eigenschaften bestimmen könnte – wäre es doch nachlässig, diesen Test nicht zu machen. Nur eine sehr geringe Unannehmlichkeit verglichen mit einem potentiell großen Nutzen.

D.P. : Transhumanisten sind keine Eugeniker in diesem abscheulichen traditionellen Sinn. Wie dem auch sei: Die Menschheit steht am Rande einer reproduktiven Revolution. Künftige Eltern werden bald die Möglichkeit haben, die Art von Kind, die sie zur Welt bringen möchten, auszuwählen. Präimplantationsdiagnostik wird vermutlich zur Routine, Designer-Genome werden folgen. Die meisten Eltern werden danach streben, glücklichere, klügere und gesündere Kinder zu haben. Im Prinzip würde wahrscheinlich auch heute die Mehrheit der Menschen den Einsatz von genetischer Medizin befürworten, wenn man damit Krankheiten wie z.B. zystische Fibrose verhindern könnte. Umgekehrt würde derzeit nur eine Minderheit den Einsatz von „Optimierungs“-Technologien befürworten. Aber die Optimierungs-Technologien von heute sind die Heiltherapien von morgen. Aus der Sicht unserer Nachfahren müssen sterbliche Menschen wohl allesamt auf tragische Weise krank und dysfunktional wirken. Derzeit denken wir, dass es moralisch akzeptabel ist, die tödliche Erbkrankheit des Alterns an unsere Kinder weiterzugeben – neben einigen anderen abscheulichen Gemütszuständen (wie beispielsweise Eifersucht, schlechte Laune, Ärger und Einsamkeit), die in der Umwelt unserer Vorfahren vielleicht nützlich waren. Das menschliche Leben könnte um so vieles reicher sein. Warum nicht, wenn die Technologie ausreift, das grausame genetische Roulette der natürlichen Auslese durch genetisch vorprogrammiertes Superglück, Superintelligenz und ein langes Leben ersetzen? Entscheidend ist, dass diese Transformierung keine Unterdrückung anderer Rassen oder Spezies mit sich bringen muss (und natürlich auch nicht sollte!). Die Überwindung unserer biologischen Schranken beinhaltet gleichfalls die Überwindung der ethnozentrischen und anthropozentrischen Tendenzen unserer Vorfahren.

Unser eigentliches Dilemma liegt in der Zukunft. Wie können wir in einer Welt ohne das Altern individuelle reproduktive Rechte und die beschränkte Aufnahmekapazität unseres Heimatplaneten in Einklang bringen? Wird der Populationsdruck dafür sorgen, dass wir letzlich wirklich „nach den Sternen greifen“? Oder ist dieses Szenario nur Science Fiction?

A.L. : Transhumanismus und Unsterblichkeit: Glauben Sie alle an Transfer-Uploading? Falls ja...., dann betrachten Sie sich vermutlich als Dualisten, oder? Nebenbei bemerkt: Ich denke, dass Greg Egans Roman das Transfer-Uploading in metaphysischer und interessanter Weise behandelt.

N.B. : Ich denke, dass beim Uploading unter den richtigen Voraussetzungen sowohl das Bewusstsein als auch die persönliche Identität erhalten werden können. Aber ich würde mich nicht als Dualisten bezeichnen. Ich denke, dass mein Geist derzeit auf einer Art Proteincomputer läuft. Wenn exakt die gleichen Prozesse auf einem Silikoncomputer ablaufen würden, könnte ich vermutlich überhaupt keinen Unterschied feststellen.

D.P. : Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keinen Grund, weshalb wir unseren eigenen genetischen Code nicht überschreiben und unbegrenzt jugendlich bleiben sollten. In gewisser Hinsicht könnten die „Nachmenschlichen“ quasi-unsterblich werden, obwohl solche Rede möglicherweise unhaltbare Vorstellungen von einer persönlichen Identität widerspiegelt. Wann? Einige Transhumanisten sind optimistisch. Sie führen ein exponentielles Wachstum der Computerleistung ins Feld und sagen vorher, dass altersloses Leben innerhalb von Jahrzehnten machbar sein wird. Ich hoffe, sie haben Recht. Ich befürchte allerdings, dass man für das genetische Umprogrammieren, sowie für andere effektive Eingriffe noch Jahrhunderte oder mehr benötigen wird. So oder so werden wohlkontrollierte langfristige Versuche in Bezug auf menschliche Anti-Aging-Therapien ein Problem sein. Uploading? Hier ist vielleicht größere Vorsicht geboten. Die in einem Zeitalter vorherrschende Technologie ist gewöhnlich ein Abbild der jeweiligen Weltsicht. Unsere dominante Technologie ist der digitale Computer. So ist es nur natürlich, zu fragen, ob organische Roboter wie wir in der Lage sein könnten, uns zu scannen, zu digitalisieren und auf ein weniger vergängliches Medium hochzuladen. Unglücklicherweise haben wir keinerlei wissenschaftliches Verständnis von der Existenz des Bewusstseins, geschweige denn eine genaue Theorie seiner unzähligen Varianten. Auch kann die klassische Physik nicht erklären, weshalb hundert Milliarden einzelner Gehirnzellen ein einheitliches Erfahrungsfeld hervorrufen können. Ich persönlich bin skeptisch, dass ein digitaler Computer mit einer klassischen Architektur jemals ein vereinheitliches Bewusstsein unterstützen wird. [Werden ausgereifte artifizielle Quantencomputer super-empfindend sein? Vielleicht.] Ich sollte hinzufügen, dass einige sehr kluge Leute anderer Meinung sind. Ob ich ein Dualist bin? Nein, ich denke, dass die Welt mit den Gleichungen der mathematischen Physik erschöpfend beschrieben ist. Was diese Gleichungen jedoch belebt, ist nicht Materie in dem Sinne, wie sie die materialistischen Metaphysiker verstehen. Greg Egan? Ja, er ist ein brillanter Autor.

A.L. : Transhumanismus und Singularität: Sind wir der Singularität wirklich nahe? Hat Vernor Vinge Recht oder nicht?

N.B. : Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Das bedeutet für mich, dass man in der Form einer Wahrscheinlichkeitsverteilung denken sollte, gestreut über einen weiten Bereich von Möglichkeiten, wobei man auch die nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit berücksichtigen sollte, dass es sehr bald eintritt – innerhalb einiger Jahrzehnte, die Wahrscheinlichkeit, dass es wesentlich länger dauert und die Möglichkeit, dass es niemals eintreten wird. Dann kann es eine interessante Diskussion darüber geben, wie diese Wahrscheinlichkeitsverteilung genau aussehen wird. Wenn wir allerdings nicht zunächst die Unsicherheit solcher Voraussagen anerkennen, werden wir mit unserer Analyse nicht weit kommen.

D.P. : Die Entwicklung transhumaner Superintelligenz ist vermutlich unumgänglich, zumindest in einigen Bereichen der universellen Wellenfunktion mit einer kleinen Amplitude. Nahe? Das hängt von Ihrem Begriff von Nähe ab. Sollte es uns beunruhigen? Nicht, wenn post-humane Intelligenz mit einer erweiterten Fähigkeit zum empathischen Verstehen anderer fühlender Wesen einhergeht. Das Singularity Institute [ http://www.singinst.org/ ] beschäftigt sich ausgiebig mit diesen Themen.

Vinge selber spricht davon, wie wir „in ziemlich naher Zukunft Geschöpfe kreieren (oder werden) [können], die den Menschen in allen intellektuellen und kreativen Dimensionen übertreffen werden. Alles jenseits dieses Ereignisses – nennen wir es technologische Singularität – ist so unvorstellbar für uns wie eine Oper für einen Plattwurm“. Vinge mag wohl Recht haben. Man sollte sich jedoch in Erinnerung rufen, dass Opernliebhaber und Plattwürmer etwas sehr Wesentliches gemeinsam haben, nämlich die funktionale Interaktion zwischen dem jeweiligen Opioid- und Dopaminsystem. Die Lust-Schmerz-Achse bewirkt, dass uns irgendetwas betrifft. Ohne den hedonischen Tonus gibt es keinen Sinn, keine Bedeutung der Existenz. Nein, wir können uns sicherlich nicht vorstellen, auf welch feinsinnige Art der post-humane Geist glücklich sein kann, ebensowenig wie ein Plattwurm etwas über die Oper weiß. Dennoch sage ich voraus, dass Post-Humane nicht nur superintelligent, sondern auch superfühlend sein werden.

A.L. : Der hedonistische Imperativ suggeriert die Molekularbiologie eines Paradieses. Eine Welt ohne Schmerzen – seelische wie körperliche. David widerlegt Einwände, die behaupten: „Kriege, Vergewaltigung, Hungersnöte, Seuchen, Kindesmord und Kindesmissbrauch existieren schon seit undenklichen Zeiten. Sie sind ganz „natürlich“, sowohl aus historischer, interkultureller wie auch aus soziobiologischer Sicht“. Ich habe per E-Mail Gary Francione (über Tierrechte) interviewt. Er sagt etwas ganz Ähnliches über den Veganismus. Ich denke, wir sollten auch diese abolitionistische Perspektive in Betracht ziehen, oder?

Meine zweite Frage lautet: Wenn wir das biologische Paradies verwirklichen können (lassen wir Einwände wie „Schmerz ist notwendig“ einmal außer Acht).... wie werden wir leben? Ich meine, was ist mit Jobs, Kriegen usw.? Die neue Welt scheint mir beinahe unvorstellbar. (Schmerzen sind vollständig ausgelöscht? Kein Schmerzempfinden zu haben ist problematisch, beispielsweise bei hereditärer sensorischer und autonomer Neuropathie).

N.B. : Ja, ich denke, wir sollten die abolitionistische Perspektive mit in Betracht ziehen. Und ja, die Welt, die entstünde, wenn das abolitionistische Projekt schließlich erfolgreich wäre, ist beinahe unvorstellbar. Für den Anfang können wir sicher annehmen – wohl eingedenk der gigantischen technologischen Hürden, die zu überwinden sind, damit diese Vision Realität werden kann – dass die Eliminierung von Schmerz nicht der einzige Unterschied zwischen der neuen und der heutigen Welt wäre. Auch viele andere Dinge hätten sich verändert.

Sicher – ohne das Eingreifen einer Superintelligenz oder die vollständige Zerstörung der Biosphäre (ein weiterer Bereich, in dem das Leiden der Welt abgeschafft werden könnte), geschieht dies nicht über Nacht. Wir werden wahrscheinlich eine immer klarere Vorstellung von den nötigen Schritten haben, während wir uns dem Ziel allmählich nähern.

D.P. : „Welch ein Buch würde ein Kaplan des Teufels wohl schreiben über das unbeholfene, verschwenderische, stümperhafte, niederträchtige und schrecklich grausame Werk der Natur!“, sagt Darwin. Was jedoch, wenn die „Natur, rot an Zähnen und Klauen“, zivilisiert werden könnte? Was, wenn post-humane „Naturparks“ frei von Grausamkeit sein könnten. Technisch ist dies machbar. Ich denke, dass jeder mitfühlende Ethiker, nicht nur Buddhisten und Utilitaristen, zum Ziel haben sollte, das abolitionistische Projekt in die gesamte belebte Welt auszudehnen, nicht nur innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe oder Spezies. Engagement für das Wohlbefinden aller fühlenden Wesen ist Teil der transhumanistischen Erklärung [ http://www.transhumanism.org/index.php/WTA/declaration/ ]. Was bedeutet dies in der Praxis? Werden wir wirklich jemals in der Lage sein, zu verhindern, dass wir uns gegenseitig töten und aufessen? Idealerweise müsste allein die Kraft des moralischen Arguments genügen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass erst das Vorhandensein einer ausreichenden Menge von preisgünstigem und köstlichem gentechnisch hergestellten Fleischersatz die Grundlagen für einen globalen Veganismus legen kann. Entscheidend ist, dass die Produktion von „fleischlosem Fleisch“ potentiell unendlich skalierbar ist. Wenn wir es mit der Moral jedoch ernst nehmen, ist eine „gewaltfreie“ Ernährung erst der Anfang. Eine belebte Welt ohne Leiden beinhaltet den Einsatz von spezies-umfassender Depotverhütung, das Überschreiben von Genomen, die Neugestaltung der Ökosysteme unserer (Land-)Naturparks, Nanorobotik, um ein neu gestaltetes marines Ökosystem zu steuern, und vieles andere mehr. Dies ist eine enorme Herausforderung für Computer- und Maschinentechnik. Einen Überblick finden Sie auf https://www.abolitionist.com

Körperlicher Schmerz? Weshalb reagieren unsere Silikon-(etc.)-Roboter auf schädliche Stimuli, ohne Qual zu verspüren, wenn sie beschädigt werden – wohingegen ihre verletzten organischen Pendants (normalerweise) so entsetzlich leiden? Im Moment können wir darüber nur Vermutungen anstellen. Aber es gibt zumindest zwei mögliche Lösungen für das Elend des körperlichen Leidens im organischen Leben. Eine ist das Auslagern von allem Unangenehmen auf intelligente Prothesen – die „Cyborg“-Lösung. Die Alternative wäre, informations-sensitive Dips in ansonsten sublimen Graden des Wohlbefindens zu entwickeln, d.h. funktionale Analogien zum Schmerz – ohne dessen brutale Qualia.

Wie wird das Leben in einer hypothetischen post-darwinistischen Ära aussehen? Es macht Spaß, darüber zu spekulieren. Aber stellen Sie sich analog dazu einmal vor, wenn heute ein Spezialist für chronische Schmerzen vor seinen Patienten schwadroniert, wie sie ihr Leben nach der Heilung leben sollen. Warum sollten wir ihn ernst nehmen? Theoretisch könnten emotional optimierte Menschen vieles in der Struktur ihrer Vorlieben beibehalten, indem man einfach nur die hedonische Tretmühle neu kalibriert. So könnten wir um einen erhöhten „hedonischen Sollwert“ herum allesant ein viel reicheres Leben führen. Praktisch gesehen, denke ich, dass unser gesamtes konzeptionelles Schema ebenfalls revolutioniert werden wird. Alles was wir heute konkret über eine zukünftige Ära der Paradiesgestaltung sagen, ist mit Sicherheit kindlich in seiner Naivität. Um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was möglich ist, könnten Sie stattdessen versuchen, sich das wunderbarste Hochgefühl vorzustellen, das Sie je erlebt haben. Ich glaube (beweisen kann ich es nicht), dass das post-humane Alltagsleben noch wesentlich besser sein wird.

A.L. : Ich denke, der Transhumanismus ist unbekannt, weil wir die Gedanken und Denker nicht nachlesen können. Ich glaube, der „negative Utilitarismus“ ist ein guter Ausgangspunkt für David. Aber Nicks Ausgangspunkt kenne ich nicht. Ich finde nicht allzu viele Schlüsselfiguren, wie z.B. Hegel oder Aristoteles in Ihrem Ansatz. Vielleicht versuchen Sie ja, bestimmte Wissenspfade zu unterbrechen (ich meine, dass Sie viele Annahmen ablehnen). Vielleicht muss ich Ihre Schriften genauer lesen. Außerdem: Wo liegt der Ausgangspunkt des jüngsten Transhumanismus? Bei Ray Kurzweil, Marvin Minsky, Hans Moravec? Das scheint mir sehr wichtig. Eine Geschichte Ihrer jüngsten Bewegung.

N.B. : Es gibt keinen einzelnen Ausgangspunkt, an dem alles begann. Transhumanistisches Denken hat mit der Zeit Gestalt angenommen, durch die Beiträge vieler Köpfe.

Meine eigenen philosophischen Ansichten beruhen nicht auf einem einzelnen Vorläufer. Ich lerne von vielen und viele haben mich inspiriert. Das ist, nebenbei bemerkt, ein üblicher Weg in der zeitgenössischen analytischen Philosophie; es ist mehr wie eine Wissenschaft geworden, wo viele Personen stückweise Beiträge zu bestimmten Problemen beisteuern.

D.P. : Der Transhumanismus ist eine außergewöhnlich vielschichtige Bewegung. Schauen Sie sich vielleicht einmal auf [http://www.transhumanism.org/resources/faq.html] die Transhumanist FAQs an. Transhumanismus im modernen Wortsinn geht auf die wegweisende Arbeit von Max More und seinen Kollegen am Extropy-Institut zurück. Nicks Geschichte des transhumanistischen Denkens ist sehr aufschlussreich [http://www.nickbostrom.com/papers.pdf]. Ich persönlich würde Einflüsse wie Bertrand Russell, Peter Singer, Richard Dawkins und Alexander Shulgin anführen, von denen nicht alle im transhumanistischen Kanon eine entscheidende Rolle spielen.

A.L. : Nebenbei: Werden Sie das zehnjährige Bestehen der „World Transhumanist Association“ irgendwie feiern? Wie haben Sie sich kennen gelernt und wann haben Sie beschlossen, diese nicht-kommerzielle Organisation zu gründen? Was sind die momentanen Aktivitäten der Organisation?

N.B. : Ich denke, wir sollten etwas tun, um den zehnten Jahrestag zu feiern. Ich war zu beschäftigt, die Dinge am Laufen zu halten und meine eigenen Forschungen zu verfolgen, sodass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe.

Zum ersten Mal haben wir uns getroffen, als ich ein graduierter Student an der London School of Economics war. Wir hatten ein wenig per E-Mail korrespondiert. Dave hatte wohl den Eindruck gewonnen, dass ich irgendein hoher Professor sei und war wahrscheinlich enttäuscht, als ich mich als einfacher graduierter Student entpuppte. Wie auch immer: Nach unserem Treffen bezeichnete er mich in seinem Online-Tagebuch als einen „Spürhund auf der Suche nach erkenntnistheoretischen Trüffeln“, wenn ich mich recht erinnere. Ich war recht heftig in meinen frühen Jahren, aber mit der Zeit ist der alte Köter etwas zahmer geworden.

Heutzutage konzentriere ich mich hauptsächlich auf meine Forschungen und um das Betreiben des Future of Humanity-Instituts. Das ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung an der University of Oxford, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die großen Fragen der Menschheit genau zu studieren – eine faszinierende Arbeit. Ich versuche gelegentlich, den Transhumanisten bei organisatorischen und weiter reichenden Aufgaben behilflich zu sein. Aber ich bin in meinem Herzen ein Denker, kein Aktivist.

D.P. : Eine Feier? Schauen Sie für weitere Details auf der WTA-Webseite nach: http://www.transhumanism.org

Ich habe mich vor über einem Jahrzehnt zum ersten Mal mit Nick getroffen. Er hatte mir einige scharfsinnige Einwände zum abolitionistischen Manifest gemailt, das ich auf meine Webseite https://www.hedweb.com hochgeladen hatte. Mit einiger Mühe hat Nick mir klar gemacht, dass ich ein Transhumanist bin. (Ich habe vorausgesagt, dass er der erste Transhumanismus-Professor der Welt sein würde: Ich hoffe, der erste von vielen!) Ich im Gegenzug habe Nick davon überzeugt, dass er eine Webseite haben müsse. Der WTA war erst dann eine Periode des rapiden Wachstums beschert, als sich der formidable Bioethiker James Hughes (http://changesurfer.com/Hughes.html) dazu bereit erklärte, Geschäftsführer zu werden. Ich dagegen habe die sehr un-transhumanistische Neigung, mich hinter meinem Computer zu verstecken. In einer darwinistischen Welt sind die Pflanzenfresser gewöhnlich ängstlich – oder sie werden gefressen!

Mein eigener Forschungsschwerpunkt hier bei BLTC liegt in der klinischen Psychopharmakologie – insbesondere in der Behandlung von emotionalen Störungen – da ich der Ansicht bin, dass die Befreiung vom Leiden die moralisch dringlichste Herausforderung ist, der wir gegenüberstehen. Nicht jeder ist dieser Meinung, jedoch „am leichtesten kann man die Schmerzen eines anderen ertragen“. Psychotherapeutische Drogen sind lediglich eine Übergangslösung: Post-genomische Medizin wird besser sein. Aber für die meisten Menschen ist es uninteressant, dass vielleicht ihre Nachkommen lebenslanges Superglück, fortwährende Jugend, uneingeschränkten materiellen Überfluss, Superintelligenz, morphologische Freiheit usw. genießen können. Sie möchten wissen, wie sie ihr eigenes Leben – und das ihrer Liebsten – verbesern können – und zwar jetzt.

A.L. : Wenn wir in einer Simulation leben... was will sie uns sagen? Änden wir etwas? Müssen wir an Ockhams Rasiermesser glauben? Da wir gerade davon sprechen..., was halten Sie von Tiplers „Physik der Unsterblichkeit“?

N.B. : Das bezieht sich auf eine akademische Arbeit, die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe und die eine ganze Menge Aufmerksamkeit erregt hat (siehe http://www.simulation-argument.com für genauere Informationen). Kurz gesagt: Nein, ich denke nicht, dass die Simulations-Hypothese unser Leben drastisch verändern würde, obwohl sie gedanklich interessant ist und unter Umständen einige subtile praktische Konsequenzen birgt. Ich möchte überdies jede Gelegenheit nutzen, um zu betonen, dass das Simulations-Argument nicht zeigt, dass wir in einer Computer-Simulation leben, sondern lediglich, dass mindestens eine der drei Behauptungen zutrifft (es gibt uns keine Auskunft darüber, welche). Eine dieser drei Behauptungen ist die Simulations-Hypothese.

D.P.: Wie man sich in einer Simulation verhalten sollte, hängt vermutlich von ihrer Natur ab. Wenn Sie einen klaren Traum haben, dann ist alles erlaubt. Eine völlige Genussucht ist moralisch absolut in Ordnung, da die Menschen in einer Traumwelt lediglich Zombies sind. Dasselbe gilt, wenn Sie zukünftige Virtual Reality-Software verwenden – zumindest im Modus mit nur einem Spieler. Im Gegensatz dazu, wenn die Simulations-Hypothese [nicht zu verwechseln mit Nicks Simulations-Argument] zutrifft, dann haben die „simulierten“ Personen reale Erfahrungen. Leid, beispielsweise, wäre nicht weniger real, wenn es – als Vorfahrens-Simulation – von einem Überwesen auf einem kosmischen Supercomputer gespielt würde. Einer der Gründe, warum ich glaube, dass wir in einer „Grund-Realität“ leben, ist der, dass ich es für unvorstellbar halte, dass ein Überwesen sich dazu entschließen könnte, den Horror der darwin'schen Vergangenheit, aus dem es hervorgegangen ist, noch einmal nachzubilden – und sich vermehren zu lassen. Leider ist dies eher ein Ausdruck von persönlicher Ungläubigkeit als ein Argument.

Ockhams Rasiermesser? Das Simulations-Argument ist gerade deswegen interessant, weil es so sparsam mit Vermutungen umgeht. Seine Prämissen sind sowohl in der akademischen Philosophie als auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft weit verbreitet.

Meine eigenen Ansichten darüber, wie man sich in einer Simulation verhalten sollte, haben eher traditionelle Wurzeln in der Wahrnehmungstheorie. Ich habe lange geglaubt, dass jeder von uns in einer egozentrischen Simulation der Welt lebt, gesteuert von Geist/Gehirn. Da aber die Zombies jeder (wachen) Simulation reale fühlende Pendants haben, sollte man diese auch als real behandeln. Trotzdem hat mir als angst-getriebener Teenager meine aufkeimende Akzeptanz einer folgernd-realistischen Wahrnehmungstheorie das Gefühl vermittelt, zu einer Art lebenslanger Einzelhaft verdammt zu sein. Das Gefühl von Einsamkeit war unbeschreiblich. Ein naiver Realismus ist der seelischen Gesundheit zuträglicher.

„Die Physik der Unsterblichkeit“? Wenn die jüdisch-christliche Theologie zutrifft, dann ist Tiplers Buch ein fabelhaft geistreicher Versuch, um zu zeigen, wie religiöses Dogma mit Naturwissenschaft in Einklang gebracht werden könnte. Ich bezweifle allerdings, dass irgendein Physiker, der Tiplers christliche Ansichten nicht teilt, seine Schlussfolgerungen anerkennt.

A.L. : Zugegeben, ich verstehe das starke anthropische Prinzip überhaupt nicht (noch irgendein anderes anthropisches Prinzip, wenn ich ehrlich bin). Können Sie uns das einmal in verständlicher Weise erläutern. Welche Folgen hätte es für uns?

N.B. : Das anthropische Prinzip wurde in vielerlei Weise gedeutet und missdeutet. Wenn man alle Missverständnisse ausräumt, bleibt in der Tat ein vernünftiger und wichtiger Kern übrig, nämlich die Vorschrift, dass die Auswirkungen selektiver Wahrnehmung zu berücksichtigen sind, wenn entweder unsere Aussagen oder Hypothesen indexikalische Informationen enthalten. Ich habe eine Webseite, die ein paar einführende Gedanken dazu enthält: http://www.anthropic-principle.com

D.P. : Alle Versionen des starken anthropischen Prinzips behaupten, dass das Universum in gewisser Hinsicht für die menschliche Existenz gestaltet wurde. Ich bin nicht davon überzeugt. Unsere beste Theorie für die Welt, die Quantenmechanik, besagt, dass wir in einem Multiversum mit einer unvorstellbar großen Anzahl von quasi-klassischen Bereichen leben. In den großen Mehrheit dieser Bereiche sind die Parameter der Natur „falsch“. In solchen Teilen gibt es keine Beobachter und kein Leben. Im Gegensatz dazu begünstigt ein (sehr) kleiner Teil dieser Universen die Entstehung von informationstragenden Selbst-Replikatoren, die sich durch natürliche Auslese entwickeln, um dann Beobachter zu werden. Der naive Betrachter in jedem dieser Teilbereiche mag sich fragen, warum die grundlegenden physikalischen Parameter – beispielsweise die Kopplungskonstanten, welche die Stärke der vier bekannten Grundkräfte der Natur bestimmen – so unwahrscheinlich fein aufeinander abgestimmt sind, dass sie Leben hervorbringen können, menschliche Wesen und sogar seine eigene Existenz. In naiver Manier könnte er sich auf Gott berufen, der die Gesetze der Physik so geschickt justiert hat, dass sie zum Nutzen – oder zur Strafe der Menschheit sind. Aber solche „anthropischen Übereinstimmungen“ sind lediglich die Folge selektiver Wahrnehmung. Die Art von Teiluniversen, die wir beobachten können, ist eingeschränkt durch die Voraussetzungen, derer es bedarf, damit die Beobachter überhaupt entstehen können. Beobachter finden sich, aufgrund ihrer eigentlichen Natur, stets in einem Teilbereich wieder, der atypisch für die Gesamtheit des Multiversums ist.

A.L. : Ich möchte Sie zum Abschluss noch Folgendes fragen: Die menschliche Optimierung und das post-humane Schicksal scheinen auf eine Auslöschung der eigenen Humanität hinauszulaufen. Die menschliche Beschaffenheit tötet sich selbst. Was denken Sie über dieses befremdliche Paradoxon?

N.B. : Ich denke, wir müssen „Menschlichkeit“ unterscheiden von dem Umstand, einfach eine bestimmte Art von DNA-Sequenz in unseren Zellen zu beherbergen, wie wir ja auch jetzt schon unterscheiden zwischen weiß oder schwarz, männlich oder weiblich, jung oder alt, homo- oder heterosexuell. Es sind viele Arten von Menschlichkeit denkbar, auch neue Formen, die es bislang noch gar nicht gibt. Das Ziel liegt ja auch nicht darin, die jetzigen Menschen durch eine neue Art von „überlegenen“ Menschen zu ersetzen, sondern vielmehr darin, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in vielerlei Hinsicht weiterzuentwickeln, einschließlich zu solchen Formen, die sich von der Menschlichkeit, wie wir sie heute kennen, unterscheiden. Wenn Sie einen Slogan möchten, dann vielleicht: „Human ist, was wir sind, humanistisch, was wir zu werden hoffen“. Und das muss nicht für jedermann dasselbe sein.

D.P. : Bringt ein kleines Mädchen sich um, wenn es zur einer erwachsenen Frau heranwächst? Bringt sich eine Puppe um, wenn sie zu einem schönen Schmetterling wird?

A.L. : Gibt es noch etwas, das Sie hinzufügen möchten?

N.B. : Ich veröffentliche viele meiner Publikationen vorab online. Interessierte Leser können meine Homepage besuchen: http://www.nickbostrom.com.

D.P. : Sie haben vielleicht einige Unterschiede in Nicks und meinen Schwerpunkten festgestellt. Aber ich denke, wir stimmen beide darin überein, dass die Zukunft des Lebens im Universum herrlich jenseits menschlicher Vorstellung sein dürfte.

N.B. : Ja, darin stimmen wir überein. Und das ist wirklich wichtig.



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