Source: H+ Magazine, Autumn 2009 (& Spanish & English)

The Genomic Bodhisattva(!)

David Pearce will Ihr Leiden beenden. Sein Manifest „Der hedonistische Imperativ“ verspricht eine Zukunft, in der die Menschen in einer hoch-funktionalen, superglücklichen Verfassung leben, frei von Schmerz und Angst. Für Pearce wird sich dieser bedeutende Übergang in eine hedonische Gesellschaft durch genetische Intervention vollziehen: „Gentherapie wird sowohl auf die Körperzellen abzielen als auch, mit noch viel größerer Wahrscheinlichkeit, auf die Keimbahn. Bei geschickter Anwendung bringt eine Kombination aus zellulärer Vergrößerung des mesolimbischen Dopaminsystems, selektiv verbesserter metabolischer Funktion der wichtigsten intrazellulären Subtypen der opioidergen und serotonergen Bahnen, sowie die Unterdrückung einiger gegenläufiger inhibitorischer Feedback-Prozesse die biomolekulare Architektur für einen bedeutenden Übergang in der menschlichen Evolution in Stellung...“

Pearces intellektuelle Zusammenfassung einer Konstruktion des Paradieses stellt ihn an die Spitze einer modernen philosophischen Bewegung, die den Darwin'schen Fatalismus meidet und in eine post-Darwin'sche Zukunft blickt, in der die Menschen aus den zynischen Fesseln von Genexpression und natürlicher Auslese befreit sind. Wie werden wir leben, in einer post-Darwin'schen Zukunft, in der wir durch Technologie die Möglichkeit haben, genau so zu leben, wie wir es möchten? Laut Pearce werden wir, wenn alles gesagt und getan ist, uns einfach fürs Glücklichsein entscheiden.

Als äußerst produktiver Autor, der eingesteht, mit einem Finger zu tippen, ist Pearce ein zurückhaltender Mann von ausgeprägter und heikler Sensibilität. Als Vegetarier in der dritten Generation und Tierrechts-Aktivist macht er den Eindruck eines Mannes, der buchstäblich keiner Fliege etwas zuleide tut – ihr vielleicht sogar noch aus dem Weg tritt, damit sie auch ganz sicher einen schönen Tag hat. Seine präzise Kenntnis von Kognitionstheorie, Designer-Pharmakologie und Gentechnik machen ihn zum perfekten Kandidaten für einen Comic-Superschurken, aber seine Absichten sind die eines lebenden Bodhisattva. Und während Pearce eine Menge über seine Philosophie und die Zukunft der Menschheit schreiben kann, so ist er äußerst zurückhaltend und abgeschirmt, wenn es darum geht, über sich selbst zu reden. Man hat den Eindruck, dass sein Genie und seine Leidenschaft, das Leiden abzuschaffen, von einer tiefen persönlichen Traurigkeit herrühren, aber falls das der Fall sein sollte, so zeigt er es nicht. Der Kummer von David Pearce, dem Mann, ist nicht wichtig. Aber die Worte von David Pearce, dem Philosophen, machen ihn zu dem, was einem Buddha des 21. Jahrhunderts am nächsten kommt.
h+: Ihre Philosophie, das Leiden zu beenden, lassen die Ziele Buddhas widerhallen. Was hat Sie dazu veranlasst, Buddhas Philosophie in einer solch extremen Weise zu interpretieren?

„Mögen alle, die leben, vom Leiden befreit sein.“ sagte Gautama Buddha. Aber ist dies wissenschaftlich machbar?

Als Teenager habe ich „Das egoistische Gen“ gelesen. Das Leiden existiert nur deshalb, weil es unserer DNA hilft, sich häufiger zu reproduzieren. Außerdem bin ich über die Elektrodenstudien gestolpert, die Olds und Milner in den Belohnungszentren des Gehirns durchgeführt hatten. Einzigartig: Die Erfahrung purer Freude zeigt keinerlei physiologische Toleranz; ein wichtiger Anhaltspunkt. Jedoch scheint eine ganze Zivilisation, die auf intrakranialer Selbststimulation basiert, soziologisch nicht machbar; und überdies klingt eine solche Aussicht auch nur für die schwer Depressiven wirklich attraktiv. Lediglich zwei andere Optionen schienen mir brauchbar: Pharmakologie und Gentechnologie. Vernünftig gestaltete Pharmazeutika sind im Vergleich zu Wireheading die intelligentere Lösung: überlegene Versionen von Huxleys Soma, welche eine Lebensbereicherung bieten, anstelle von Eskapismus. Leider ist nur schwer zu begreifen, wie therapeutische Pharmazeutika alles psychische und physische Leiden beseitigen sollen, es sei denn, wir wären gewillt, unsere Kinder von Geburt an zu behandeln. Im Gegensatz dazu, kann Keimbahn-Gentherapie möglicherweise eine Lösung herbeiführen. Es sollte möglich sein, mehr zu erreichen, als nur die Ausmerzung spezifischer „Adaptationen“, wie beispielsweise unsere Prädisposition zur Eifersucht. Die Untersuchung der Genetik von Stimmungsstörungen hat mich überzeugt, dass wir unseren Quellcode verändern könnten, um die hedonische Tretmühle neu zu kalibrieren. Im Prinzip kann die post-genomische Medizin unseren „hedonischen Sollwert“ genetisch erhöhen, damit wir lebenslange geistige Gesundheit genießen, basierend auf den Stufen von intelligentem Glück. Ein neues Motivationssystem könnte entstehen. Konkreter ausgedrückt, die bevorstehende reproduktive Revolution der Designerbabys wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen immensen Selektionsdruck zugunsten von „glücklichen“ Phänotypen erzeugen.

Doch was ist mit der Bedrängnis der nicht-menschlichen Tiere? Das Leiden unserer verwandten Wirbeltiere ist manchmal schrecklich. Bis ich Eric Drexler Nanotechnik-Klassiker „Engines of Creation“ las, hatte ich keine Vorstellung davon, wie man das abolitionistische Projekt bis in die entlegensten Winkel der belebten Welt ausdehnen könnte. Die Grausamkeit der Nahrungskette schien eine unabänderliche Tatsache der Natur zu sein. Aber wenn wir moralisch ernsthaft sind, so ist die Neugestaltung der Biosphäre technisch möglich. Das abolitionistische Projekt umfasst eine Neugestaltung von Ökosystemen, Depot-Kontrazeption, Nanorobotik in den Meeren, ein Überschreiben des Wirbeltier-Genoms, die „Neuprogrammierung“ von Raubtieren in unseren Naturparks, und die Nutzung des exponentiellen Wachstums der Computerleistung, um ganze Ökosysteme zu steuern. Zunächst hatte ich angenommen, dass eine solche anteilnehmende Neugestaltung Tausende von Jahren in Anspruch nehmen würde. Wenn jedoch etwas in der Art von Kurzweils Gesetz des sich beschleunigenden Nutzens existiert, so könnte das Projekt in ein paar Jahrhunderten – oder sogar weniger – durchgeführt werden.

Nichts von allem oben Genannten bedeutet, dass es jemals eine Welt ohne Grausamkeit geben wird. Was als Futurologie angesehen wird, ist häufig nur eine Mischung aus verschleierter Autobiographie und phantastischer Wunsch-Erfüllung. Vielleicht werden wir die Biologie des Leidens für immer aufrechterhalten. Immerhin besagt unsere Tendenz zum Status Quo, dass das Leiden natürlich ist. Aber vielleicht liegt der stärkste Grund für die Annahme, dass wir das Leiden stufenweise abbauen werden, in unserer immer größer werdenden Mitschuld an seinem Fortbestehen – und an unserem (langsam) sich vertiefenden empathischen Verständnis für andere fühlende Wesen. Traditionell betrachtet ist die Erfahrung von Schmerz, Angst und Unwohlsein ein unvermeidlicher Bestandteil des Lebens. Später in diesem Jahrhundert wird Leiden etwas sein, das wir wählen – oder beenden. Wenn Sie den durchschnittlichen Grad des Wohlbefindens Ihrer zukünftigen Nachkommen vorbestimmen könnten, welche genetischen Voreinstellungen für den den hedonischen „Sollwert“ Ihrer Kinder würden Sie dann auswählen? Depressiv, glücklich oder superglücklich? Wenn Sie bestimmen könnten, welcher Grad von Leiden in unseren Naturparks auftritt, würden Sie zulassen, dass Tiere verdursten oder bei lebendigem Leibe aufgefressen werden? Wenn Sie die Wahl zwischen industriell produziertem Fleisch von geschlachteten Tieren und köstlichem und gesünderem kultivierten Fleisch hätten, würde Sie die Variante mit Grausamkeit oder jene ohne Grausamkeit wählen?

Natürlich verfolgen wir Transhumanisten ehrgeizigere Ziele als lediglich die Abschaffung des Leidens. Aus diesem Grund sage ich voraus, dass unsere superintelligenten Nachfahren von Graden des Glücks animiert sein werden, die – in jedem Moment ihres quasi-unsterblichen Lebens – um viele Größenordnungen reicher sind als unsere heutigen Gipfelerfahrungen. Aber die Überwindung allen (ungewollten) Leidens halte ich für die Grundlage jeglicher zukünftigen Zivilisation. Ich kann mir nichts vorstellen, was moralisch dringlicher wäre.


h+: Aufzuwachsen war das intensivste Leiden, das Sie durchstehen mussten. Würden Sie das Trauma dieser Erinnerung nachträglich auslöschen, wenn Sie könnten?

Traurigkeit kann etwas sehr persönliches sein. Also werde ich langweiligerweise wortkarg sein. Verzeihung. Ich sage nur, dass in Zukunft – denke ich – alle schlechten Erinnerungen selektiv gelöscht, oder zumindest emotional unschädlich gemacht werden, sobald sämtliche nützlichen Lehren daraus gezogen wurden. Ich glaube sogar, dass auch alle mittelmäßigen Erfahrungen auslöschbar sein werden – und dazu zählt auch alles aus dem Darwin'schen Zeitalter. Die Erinnerungen an heutige Gipfelerfahrungen werden banal erscheinen, verglichen mit den Texturen des Alltagslebens in ein paar Jahrhunderten. Verbesserte Neuroscanning-Technologie wird uns in Kürze ermöglichen, die molekularen Signaturen reinen Glücks zu identifizieren und deren Substrate genetisch „überzubetonen“. Neurowissenschaftler haben bereits die beiden kubikmillimetergroßen „hedonischen Hotspots“ im ventralen Pallidum und im Nucleus Accumbens von Nagetiergehirnen im Visier. Die entsprechenden hedonischen Hotspots beim Menschen könnten bis zu einem Kubikzentimeter groß sein. Ich vermute, sie enthalten das Genexpressions-Profil dessen, was das Leben lebenswert erscheinen lässt. Falls dem so ist, gibt es ein Betätigungsfeld für Verfeinerung und intelligente Verstärkung. Unsere hässlicheren Darwin'schen Emotionen können beseitigt werden. Dann können wir ein Leben leben, an das sich eine Erinnerung wirklich lohnt.


h+: Ist das Ziel der Beendung von Schmerz und Leiden nicht ein wenig kümmerlich? Sollte nicht jeder Organismus belastbar genug sein, um im Verlauf eines normalen Lebens einigen Schmerz und einiges Leiden zu überstehen?

Intuitiv betrachtet könnte man in der Tat annehmen, dass lebenslanges Glück uns schwach machen würde. Vergleichen Sie beispielsweise die Eloi mit den Morlocks in H.G. Wells' „Die Zeitmaschine“. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“, sagte Nietzsche; aber der beste Weg, uns stärker zu machen, ist (außer Cyborgs zu werden) eine Erweiterung unseres Glücks-Kreislaufs und die Verbesserung unserer Fähigkeit, Belohnung vorauszuahnen. Experimentell kann gezeigt werden, dass eine Verbesserung der mesolimbischen Dopaminfunktion uns nicht nur glücklicher macht, sondern auch Willenskraft und Motivation verstärkt. Neue Antidepressiva werden folgendermaßen getestet: Wenn sie effektiv sind, kehren sie die erlernte Hilflosigkeit und die verhaltensmäßige Verzweiflung einer klinischen Depression um – das Elend von Hunderten Millionen Menschen in der heutigen Welt. Bedauerlicherweise ist niedergeschlagene Stimmung an psychische und physische Schwachheit gekoppelt, genau wie ein gängiges Klischee es behauptet. Superglück verleiht übermenschliche Belastbarkeit. Also verspricht die Bereicherung unserer Belohnungszentren eine Verbesserung unserer Fähigkeit, mit Stress und Ungemach umzugehen, selbst wenn deren Auftreten und Schwere nachlassen. Biotechnologie kann uns dazu befähigen, Supermenschen zu werden – nicht im harten Sinn von Nietzsches Übermenschen, da sich unsere verbesserte empathische Fähigkeit auf alle fühlenden Wesen erstrecken kann, sondern im Sinne einer unerschütterlichen Geisteskraft. Leider fühlen sich heutzutage Millionen von Menschen hoffnungslos vom Leben niedergeschmettert.


h+: Was denken Sie, würde Buddha sagen zur Verwendung von Technologien wie Pharmazeutika oder Gentechnik als Mittel zum Beenden menschlichen Leidens?

Es ist schwierig, die Psychologie eines Mannes zu rekonstruieren, der schon seit 2.500 Jahren tot ist. Aber Gautama Buddhas Interesse lag eindeutig darin, die effektivsten Techniken zum Beenden des Leidens zu finden, und nicht in der Vermittlung einer gottgegebenen Wahrheit. Buddhismus ist anders als die Offenbarungsreligionen. Gautama Buddha scheint pragmatisch gewesen zu sein. Probieren wir, was funktioniert. Würde man ihm die heutige Biotechnologie präsentieren, ich bezweifle, dass er daran festhielte, dass wir durch die Traumata Tausender Wiedergeburtszyklen gehen müssen. Ich glaube, er würde die Gen-Medizin als unbezahlbares Geschenk betrachten – und darauf drängen, dass wir sie zum Wohl aller fühlenden Wesen einsetzen, nicht nur für uns selbst.


h+: Wir sind bereits in der Lage, das Bewusstsein radikal genug zu verändern, dass sich Menschen im Elend die ganze Zeit über euphorisch fühlen. Doch wann immer ein Guru sich anschickt, leidenden Menschen Glück zu bringen, gibt es eine öffentliche Gegenreaktion. Ist dies eine berechtigte Furcht, oder sind wir einfach von Natur aus argwöhnisch gegenüber jeglicher Technologie, die es den Menschen ermöglicht, aus ihrem Elend zu entkommen?

Würden Sie sich eher bedrückt fühlen, wenn Sie in einem Palast wohnen, oder eher glücklich in einer Lehmhütte? Das Anpacken der biologischen Ursachen des Elends merzt das Leiden selbst aus. Im Gegensatz dazu, sind umweltbedingte Auslöser seelischer Schmerzen üblicherweise symptomatisch – und umweltbedingte Lösungen lediglich Notbehelfe: wichtig, aber insofern nur kurzfristig wirksam, als sich unsere hedonische Tretmühle noch immer dreht. In der Regel sind bei sozial- und kognitiv-verhaltensmäßigen Abhilfen Experten (oder noch schlimmer: Gurus) beteiligt, die uns sagen, wie wir unser Leben führen sollen. Wenn Sie an körperlichen Schmerzen oder Krankheiten leiden, dann möchten Sie geheilt werden; sie brauchen keinen selbsternannten Experten, der Ihnen Ratschläge erteilt, wie Sie Ihr schmerzfreies Leben leben sollen. Ich denke, dasselbe gilt auch für Depressionen, Angststörungen und andere Formen seelischer Leiden. Wie auch immer, es lohnt sich, zwischen glücklich und euphorisch zu unterscheiden: hoch-funktionales Wohlbefinden verglichen mit permanenter, orgasmischer Euphorie. Wie Sie bereits angedeutet haben, können wir uns schon jetzt in primitiver Weise beglücken, indem wir Analogons des Brompton-Cocktails gestalten – eine Mischung aus Heroin, Kokain und Äthylalkohol, einst von englischen Ärzten eingesetzt, um todkranken Menschen das Sterben zu erleichtern. Aber solche euphorisierenden Drogen sind kein Rezept für andauerndes Wohlbefinden, für ein sozial verantwortliches und intellektuell produktives Wohlbefinden, das es uns gestattet, Kinder großzuziehen und unserem Leben eine narrative Struktur zu geben. Im Gegensatz dazu kann durch eine genetische Neukalibrierung unserer hedonischen Tretmühle in der bestehenden Struktur unserer Vorlieben all das intakt bleiben, was bewahrenswert ist. In diesem Sinne muss eine radikale Verbesserung der Gestimmtheit also nicht als Alternative zu konventionelleren Vorstellungen unserer (post-)humanen Zukunft gewertet werden. Vielmehr ergänzt es sie. Welche Gestalt Ihre persönliche Vorstellung eines guten Lebens (oder sogar eines Paradieses) auch immer annehmen mag, eine Verbesserung der Gestimmtheit kann sie verbessern. Gut, hier spiele ich die intellektuelle Signifikanz des bevorstehenden hedonischen Übergangs herunter. Genau wie die Welt der Depressiven sich in unvorstellbarer Weise von der Welt der Glücklichen unterscheidet, so könnte sich die Welt der Superglücklichen in unvorstellbarer Weise von der unseren unterscheiden. Eine Vermutung, die man gerne empirisch überprüfen würde.


h+: Sie sind Tierrechts-Aktivist und Veganer. Welches ist Ihre persönlich bevorzugte Proteinquelle, und wie denken Sie, sollte Protein in Zukunft verabreicht werden?

Der jüdische Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer beschrieb des Leben der Tiere in der industriellen Massenhaltung als „ein ewiges Treblinka“: eine Welt von Konzentrationslagern, Vernichtungslagern und industrialisierter Massentötung. Streifen wir unsere tief verwurzelte anthropozentrische Befangenheit ab, so ist das, was wir anderen fühlenden Geschöpfen antun, barbarisch. Die nicht-menschlichen Tiere, die wir industriell halten und töten, sind funktional gleichwertig mit menschlichen Babys und Kleinkindern. Babys und Kleinkinder müssen betreut werden, nicht befreit; und ich denke, dass dasselbe auch auf andere fühlenden Wesen zutrifft, ob domestiziert oder freilebend. Als führende Spezies haben wir eine Fürsorgepflicht für die niedrigeren Wesen, genau wie wir eine Fürsorgepflicht gefährdeten und behinderten Menschen gegenüber haben. Wenn unsere Beherrschung der Technik ausreift, so denke ich, müssen wir ein spezies-übergreifendes globales Analogon zum Wohlfahrtsstaat schaffen.

Die Bekämpfung großen Übels rechtfertigt heroische persönliche Opfer. Veganer zu werden bringt geringe persönliche Unbequemlichkeiten mit sich – obwohl es zugegebenermaßen noch einfacher ist, wenn Sie ein Vegetarier der dritten Generation sind. In Brighton, wo ich hier in England lebe, gibt es einige der besten vegetarischen/veganischen Restaurants von ganz Europa. Sie finden auch viele köstliche veganische Rezepte im Internet. Leider kann ich nicht kochen, also kann ich den H+-Lesern keine kulinarischen Tipps geben. Ich streue lediglich Erbsenprotein-Konzentrat auf meinen Bohnensalat.

Ich wage die vorsichtige Behauptung, dass im nächsten Jahrhundert und danach „natürliches“ Fleisch genauso wenig gesetzlich und gesellschaftlich akzeptabel sein wird wie der Verzehr von menschlichem Fleisch. Die meisten Menschen, die Fleisch mögen, werden In-Vitro-Gourmet-Steaks und Ähnliches essen – kultiviertes Fleisch, reicher in Geschmack und Textur als das Fleisch von unseren geschlachteten Verwandten. Gentechnisch hergestelltes Vat-Food klingt unter dieser Bezeichnung nicht unbedingt verlockend. Aber wenn „vegetarisches Fleisch“ richtig gekennzeichnet und vermarktet wird, wer wird dann vorsätzlich die blutbefleckte Option wählen, wenn preisgünstigere und schmackhaftere grausamkeits-freie Produkte erhältlich sind. Sicher, kultiviertes Fleisch ist nicht „natürlich“. Aber das Fleisch von Tieren aus industrieller Massenhaltung ist es ebenfalls nicht. Das Abschätzen eines Zeitrahmens für die weltweite Umstellung auf eine zivilisierte Ernährungsweise ist ziemlich schwierig. Im Moment können Gewebewissenschaftler nichts schmackhafteres als Hackfleisch kultivieren. Doch theoretisch könnte die Menschheit die Umstellung zum Veganismus Mitte des Jahrhunderts schaffen, wenn der Übergang zu preisgünstigerem, gesünderem, massenproduziertem, kultivierten Fleisch an Geschwindigkeit zulegt. Ich bin zynisch genug, zu glauben, dass der Kostenfaktor entscheidend sein wird; aber ich glaube auch (naiverweise?), dass das moralische Bewusstsein eine kleine, aber signifikante Rolle spielen könnte. Zum Glück dürfte die Technologie skalierbar sein. In der Zwischenzeit kann jeder, der den globalen Übergang zu einem Speiseplan ohne Grausamkeit beschleunigen will, vielleicht New Harvest unterstützen, die weltweit erste nicht-kommerzielle Forschungs-Organisation, die an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch arbeitet.


h+: Für manche Menschen ist Schmerz die intensivste Form der Freude, und in einer Welt ohne Leiden könnte Schmerz zur ultimativen Tabu-Designer-Erfahrung werden. Riskieren wir durch die Abschaffung des Leidens nicht versehentlich dessen Wieder-Entdeckung als etwas trendiges und wünschenswertes?

Masochisten mögen den rohen Schmerz, wenn man sich die Finger in der Tür einklemmt, nicht mehr als Sie und ich. Allerdings können bestimmte ritualisierte Formen von dominantem und unterwürfigem Verhalten die Ausschüttung von endogenen Opioiden auslösen, was dann als überaus angenehm empfunden wird. Zukünftig können Masochisten und andere, die solche „schmerzhaften“ Aktivitäten mögen, die Qualität ihrer Erfahrungen steigern, indem sie die unangenehmen Teile ausfiltern und die lohnendsten verbessern. Nichts wertvolles muss verloren gehen. Ich gehe in der Regel nicht näher auf die Modi post-humaner Sinnlichkeit ein, da ich befürchte, auf diese Weise die moralische Ernsthaftigkeit des abolitionistischen Projekts zu unterminieren. Aber wenn Sie mich fragen, so denke ich, dass die Sexualität der Zukunft die wildeste Erotik von heute wie ein harmloses Vorspiel erscheinen lässt.

Wenn es eine genetisch bestimmte Untergrenze des Glücks gäbe, unter die niemand auf „natürliche“ Weise absinken kann, würden sich post-humane Neuheitssucher dann dazu veranlasst sehen, unter diese Bodendielen zu spähen, um herauszufinden, wie sich das Leben ihrer Vorfahren angefühlt hat? Vielleicht. Die Verlockungen der verbotenen Früchte dürfen nicht unterschätzt werden. Aber wenn es irgendjemand versucht, wird er das Darwin'sche Leben vergleichsweise scheußlich oder mühsam finden. Es ist schwer vorstellbar, dass er diese Erfahrung wiederholen würde. Das Erforschen der höheren Stufen der himmlischen Neurochemie ist lohnender. Weshalb also in den niederen Regionen herumwühlen? Vermutlich werden unsere Nachfahren das Leben ihrer Vorfahren nur durch Analogien verstehen. Daher könnten einige Aspekte des post-humanen Lebens vielleicht lediglich wundervoll sein, anstatt wirklich großartig. Wenn das Leben in der Zukunft von informationstragenden Graden des Glücks animiert ist, dann begreifen Sie vielleicht, dass Ihre Nachfahren, metaphorisch, viel weiter „südlich“ leben als Ihr niedrigster Grad an Glück – die post-humane Entsprechung der schwarzen Nacht der Seele. Ebenso stellen wir uns heute vor, wie es ist, ein Opfer klinischer Depression zu sein: indem wir uns vorstellen, dass depressiv sein wie traurig sein ist – nur eben stärker. Ja, das ist in gewisser Hinsicht richtig; aber an einer schweren Depression zu leiden, ist, qualitativ betrachtet, wesentlich schlimmer als „nur“ traurig zu sein. In gleicher Weise übersteigt post-humanes Superglück bloßes Glücklichsein auf eine Weise jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens.


h+: Glauben Sie, dass die Qualität von Kunst und kulturellem Ausdruck darunter leiden wird, wenn sich unser emotionaler Wortschatz von den Schattierungen des Leidens weg und zu den Schattierungen des Wohlbefindens hin entwickelt? Wie erhalten wir uns einen Sinn für Dramatik in einer immer glücklicher werdenden Welt?

Ich denke, dass der künstlerische Ausdruck bald aus den Dunklen Zeitaltern heraustreten wird. Wir haben kaum einen flüchtigen Blick auf die Vielfalt kulturellen Ausdrucks – und kulturellen Verständnisses – geworfen, die mit post-humaner Biologie möglich ist. Traditionell war das Schaffen großer Kunst an das Leiden gebunden. Die Reaktion ihres weniger anspruchsvollen Publikums tendiert dazu, den schmerzvollen Ursprüngen zu entsprechen. Kunstbanausen empfinden das meiste an „Hochkultur“, was es zu schätzen gälte, als schmerzhaft langweilig. Diese bedauerliche Reaktion kann durch Neuro-Enhancement überwunden werden. Betrachten Sie einmal die ästhetische Schönheit. Die rasche Verbesserung der Neuroscanning-Technologie wird es uns in Kürze möglich machen, die molekulare(n) Signatur(en) erhabener Schönheit zu identifizieren und sie genetisch „überzubetonen“, das was unwesentlich ist, auszublenden, und deren molekulare Essenz zu verstärken. Beeindruckende Schönheit kann als Kulisse unseres Lebens dienen – oder seine gesamte Textur durchdringen. Unser „ästhetischer Sollwert“ – sozusagen – kann erhöht werden. Weshalb sollten wir nicht „eine Welt in einem Sandkorn und einen Himmel in einer wilden Blume“ sehen, wie die Mystiker? Der alte Wortschatz von Hässlichkeit und Leiden wird tatsächlich überflüssig sein, wenn wir sowohl unsere ästhetische Palette als auch unseren hedonischen Tonus biologisch bereichern. Künstlerische Vielfalt kann gesteigert werden. Auch völlig neue Zustandsräume der Schönheit können sich öffnen, die nach neuen primitiven Begriffen und entsprechenden Modi des kulturellen Ausdrucks rufen. Gesetzt den Fall, wir wären davon überzeugt, dass Schönheit ausschließlich im Auge des Betrachters existiert, dann könnten wir eine Welt gestalten, in der ohne Unterschied alles schön aussieht. Aber das ist lediglich eine Option. Alternativ dazu könnte uns die Beibehaltung informations-tragender Abstufungen von ästhetischer Wertschätzung erlauben, unser kritisches Urteilsvermögen hinsichtlich der Kunst zu erhalten – oder zu verbessern.

Aber wie steht es mit der Dramatik im wirklichen Leben? Vielleicht ist einer der Gründe, warum Kritiker der Idee eines post-humanen Paradieses so halbherzig gegenüberstehen, dass die beschriebenen Aussichten monoton erscheinen könnten. Was werden wir den ganzen Tag tun? Ich konzentriere mich auf die Abschaffung des Leidens; viele der heutigen Menschen sind allerdings eher gelangweilt, als dass es ihnen schlecht ginge. Sicher, in einigen Szenarien leben unsere Nachfahren in einer glücklich-gelassenen Welt. Aber in anderen Szenarien ist das post-humane Leben anregend – dramatisch jenseits all dessen, was wir uns heute vorstellen können oder physiologisch möglich ist. So könnte beispielsweise hyperauthentische immersive Virtual Reality-Software ein beispielloses Entertainment bieten. Besser-als-reale, „supernomale“ Stimuli sind gewöhnlich aufregender als deren so genannte reale Gegenstücke, und kehren die normalen Konnotationen von „real“ und „virtuell“ um. Wenn Sie eine leidenschaftliche Nacht mit Miss Universum oder einen Tag im römischen Kollosseum verbringen möchten, oder gerne den Tag erleben wollen, an dem die meisten Dinosaurier ausgelöscht wurden, dann laden Sie einfach die fragliche Welt und tauchen ein. Pure Sensationsgier wird zweifelsohne eine Menü-Option sein; aber es gibt auch eine intellektuell ernsthafte Seite des nicht zu verbessernden Wohlbefindens. Ich persönlich würde auf diese Weise gerne einmal ausführlich Psychedelika ausprobieren. Derzeit wage ich dies nicht, da Psychedelika einfach zu dramatisch sein können. Um damit fertig zu werden, muss man psychisch robust sein.


h+: Ich könnte anführen, dass der industrialisierte Westen dem weltweiten Leiden gegenüber bereits abgestumpft ist, und überfokussiert auf andauerndes Glück. Ist das Fortschritt?

Viele Menschen gehen heutzutage einem hedonistischen Lebensstil nach. Es ist allerdings ein inkompetenter Hedonismus. Ein vergnügungssüchtiger Lebensstil bringt lediglich die negativen Feedback-Mechanismen der hedonischen Tretmühle in Gang, und es geht uns keineswegs besser als zuvor. Es gibt tatsächlich kaum neurowissenschaftliche Beweise, dass heutige Menschen wesentlich glücklicher sind als unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren oder die Neandertaler: ein Armutszeugnis der bisherigen menschlichen Entwicklung. Objektive Indikatoren für psychische Bedrängnis wie beispielsweise die Suizidquote in post-industriellen Gesellschaften im Vergleich mit jener von Jäger-und-Sammler-Stämmen bekräftigen diese trostlose Schlussfolgerung. Entsprechend ist auch die Verbreitung von Depressionen und Angststörungen in vielen westlichen Ländern größer als in der Dritten Welt. Sicher, man würde lieber, sagen wir, in Schweden leben als in Simbabwe. Aber internationale selbst-berichtete Zufriedenheits-Umfragen bestätigen immer wieder, dass beispielsweise Nigeria beinahe an der Spitze liegt; und ich denke, wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass dies wenig mit dem übermäßigen Reichtum zu tun hat, den die vielen nigerianischen Geschäftsfreunde so bereitwillig mit uns teilen möchten. Natürlich können Biokonservativisten solche Statistiken als Argument für die Ablehnung des befreienden Potentials von Technologie heranziehen. Dieser Pessimismus bezüglich des technologischen Fortschritts ist jedoch verfrüht. Die bevorstehende Beherrschung unserer Belohnungs-Zyklen bedeutet, dass wir unsere eigene Lebensqualität, sowie auch das Leben aller anderen fühlenden Wesen, verändern können. Ich denke, dass diese Transformierung eine fundamentale Diskontinuität in der Evolution des Lebens auf der Erde markieren wird.


h+: Man könnte die reichen Müßiggänger als eine Klasse von Menschen definieren, die dem Leiden durch Luxus, Drogen und chirurgische Eingriffe entgangen sind. Wie können wir diesem hedonischen Modell nacheifern, ohne komplette Arschlöcher zu werden?

Gefühlsmäßig liegen meine Sympathien bei den Benachteiligten. Jedoch bedürfen viele der reichen Müßiggänger ebenso der Hilfe wie schwer arbeitende Arme. Scheidungen, Eifersucht, Angst, Depression, unerwiderte Liebe, Alkoholmissbrauch und Existenzangst können das Leben der Wohlhabenden wie der Verarmten gleichermaßen bedrängen. Zum Glück dürfte die post-genomische Medizin maximal effiziente Belohnungs-Zyklen für alle verfügbar machen, nicht nur für eine globale Elite. Doch selbst in einer Welt von nanotechnisch erzeugtem Überfluss, werden einige Dinge immer rar sein, beispielsweise das, was Ökonomen als positionale Güter bezeichnen. Die biologischen Substrate von lebenslangem Superglück müssen nicht dazu zählen. Glück muss nicht dem Cash-Nexus untergeordnet oder rationiert werden. Informierte Spekulation darüber, wie solches Glück verhaltensmäßig zum Ausdruck gebracht wird, ist eher eine Herausforderung. Hier tauchen wir weiter in das Reich gelehrter Mutmaßung ein. Wie auch immer, die neue Biotechnologie sollte uns ermöglichen, sowohl die Parameter unserer eigenen Persönlichkeit wie auch unseren hedonischen Sollwert zu wählen. Eine solche Wahl schließt vermutlich die Prädisposition ein, dass man entweder egozentrisch oder heilig ist. Heutzutage benehmen wir uns alle gelegentlich schlecht. Manche von uns geben sich selbst die Schuld, anstatt unser hässliches Darwin'sches Genom dafür verantwortlich zu machen. Aber künftige Optimierungstechnologien sollten uns zu idealisierten Versionen jener Personen machen, die wir am liebsten wären. Dies wird möglich, indem wir die Belohnung für jene Aktivitäten, die wir am meisten wertschätzen, maximieren – und die Freude an unseren niederen Instinkten beseitigen. Wenn wir beispielsweise gütiger sein möchten, können wir selektiv die neuralen Belohnungen verstärken, sobald wir anderen helfen, sodass wir die größte Freude immer dann empfinden, wenn wir obligatorisch heilig sind. Ich betone, dass ich keineswegs vorhersage, dass dies tatsächlich geschehen wird. Der Grund, weshalb ich glaube, dass die Menschheit sich vom Leiden befreien wird, ist, weil die Technologie dessen Abschaffung schließlich trivial einfach machen wird, nicht etwa, weil wir alle Engel werden. Es gibt zahlreiche Fallstricke hinsichtlich reiner „Heiligkeit“. Aber es ist eine Option.


h+: Sie betrachten ein MDMA-Bewusstsein als Maßstab für Glück und Empathie. Aber wie beim Alkoholrausch, habe ich Menschen unter Einfluss von MDMA erlebt, die sich gegenüber anderen Menschen mit wirklichen Problemen sehr ablehnend verhalten haben, wenngleich sie dachten, sie seien einfühlsam und anteilnehmend. Könnte „zu großes Glück“ angesichts realer Probleme nicht als eine Form von Oberflächlichkeit und Selbsttäuschung angesehen werden?

Die Einnahme von MDMA (Ecstasy) ist wahrscheinlich nicht besser als das Schnüffeln an Klebstoff, verglichen mit der mentalen Gesundheit im Zeitalter einer ausgereiften post-genomischen Medizin. Aber „Empathogene“ wie MDMA erinnern uns daran, dass nicht alle euphorisierenden Drogen zu egoistischem Verhalten führen. Ethisch betrachtet, ist es (wahrscheinlich) vorzuziehen, nach größerer Empathie zu streben, und dabei manchmal zu scheitern, als sich überhaupt nicht um Einfühlungsvermögen zu bemühen. Die MDMA-erzeugte Intensität von Gefühlsausbrüchen steht auch in Kontrast zu der Oberflächlichkeit, wie sie von „psychischen Beruhigungsmitteln“ wie den, sehr unglücklich bezeichneten, SSRI-Antidepressiva hervorgerufen wird. Leider haben Sie Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die rosa Brille der Ecstasy-Benutzer nicht die Schärfe von Einsicht garantiert oder die Richtigkeit der sozialen Wahrnehmung. Das „Penicillin für die Seele“ ist keine Wunderpille. „Umliebt“ zu werden ist gut in einer Gemeinschaft anderer Benutzer, die gleichfalls umliebt sind; aber es ist keine Lösung für schwere Probleme von Nicht-Benutzern – oder das Leben an einem Montagmorgen. Selbst wenn sichere und nachhaltige Empathogene entwickelt werden können, wäre reines Mitgefühl nicht in der Lage, Krebs zu heilen, die AIDS-Krise zu lösen oder die Verheerungen des Alterns rückgängig zu machen. Solche komplexen, facettenreichen medizinischen Probleme bedürfen gründlicher wissenschaftlicher Forschung. Dies zu sagen, bedeutet keine Abwertung des „Zaubers“ von MDMA. In einer besseren Welt kann die rosa Brille, erzeugt durch MDMA-ähnliche Zustände, bezüglich der sozialen Wahrnehmung ebenso scharfsichtig sein wie der „depressive Realismus“ der kompromisslosesten zeitgenössischen Zyniker. In der Zwischenzeit ist ein Darwin'sches Bewusstsein klug für eine Darwin'sche Welt.


h+: Welche Rolle spielen, neben der Heranziehung von MDMA als erstrebenswertes Bewusstseinsmodell, Ihrer Ansicht nach Psychedelika wie LSD, DMT oder Salvinorin A bei der Evolution des menschlichen Bewusstseins?

Ich denke, es ist kaum möglich, die kognitive Signifikanz der bedeutenden Psychedelika für die Zukunft des Empfindungsvermögens überzubewerten. Jedoch ist es schwierig, Akademikern, die sie nie probiert haben, begreiflich zu machen, weshalb solcherlei Agenten wertvolle Untersuchungsinstrumente sind. Ich kenne ausgezeichnete, medikamentennaive Philosophen des Geistes (und Transhumanisten), die sich sicher sind, dass Psychedelika nicht signifikant sein können – und dass es verantwortungslos wäre, sie dazu zu zwingen, ihre Anschauungen auf den Prüfstand zu stellen. Vielleicht ist das beste, was ich tun kann, eine Analogie anzubieten. Stellen Sie sich einen ultra-intelligenten Stamm von Außerirdischen vor, die von Geburt an blind sind. Ihre Unkenntnis des Sehens und der visuellen Auffassung ist in ihrem Begriffsschema nicht explizit vertreten. Für Angehörige dieser hypothetischen Spezies wären visuelle Erfahrungen nicht mehr ein Informationsträger als es eine chaotische, durch Drogen verursachte, fledermausähnliche Echolot-Erfahrung für uns wäre. Solche Erfahrungs-Modi hatten nie eine Sinnes- oder Signalfunktion. Jedenfalls entdeckt eines Tages in der Geschichte dieser imaginären Spezies ein Angehöriger des Stamms ein Medikament, das seine Neurochemie verändert. Die Droge verfälscht nicht nur seine normalen Sinne und sein Selbstgefühl, sie löst etwas aus, das wir als visuelle Erfahrung bezeichnen würden: lebhaft und chaotisch in seiner Textur, und eigenartiger als alles, was sich der Medikamenten-Benutzer jemals vorgestellt hat. Was kann das medikamenten-berauschte Subjekt tun, um seine beunruhigenden neuen Erfahrungskategorien der wissenschaftlichen Elite seines Stamms mitzuteilen? Wenn er lediglich sagt, die Erfahrungen seien „unaussprechlich“, so würden die Skeptiker einen solchen Mystizismus und Obskurantismus verschmähen. Wenn er metaphorisch spricht und sich mit Hilfe von Wörtern aus dem Begriffsschema der dominanten Sinnes-Modalität seiner Spezies ausdrückt, so wird er vermutlich delirösen Unsinn plappern. Möglicherweise spricht er über Botschaften von den Göttern oder was auch immer. Entscheidend ist, dass dem Medikamenten-Benutzer die einfachsten Begriffe fehlen, die notwendig wären, seine Erfahrungen mitzuteilen, ganz zu schweigen von einem theoretischen Verständnis des Geschehens. Vielleicht kann er versuchen, eine rudimentäre eigene Sprache zu konstruieren. Aber seinen Begriffen fehlen die allgemeinen „Benutzungskriterien“, also werden die quasi-Wittgenstein'schen Philosophen seines Stamms das (Anti-)Privatsprachenargument anführen, um zu erklären, weshalb sie bedeutungslos sind. Verständlicherweise ist die Wissenselite von der Behauptung des medikamenten-verwirrten Benutzers, er habe eine profunde Entdeckung gemacht, nicht beeindruckt. Sie können das Verhalten des Materials der physischen Welt ausgiebig mit den Entsprechungen ihrer wissenschaftlichen Theorien nachbilden, und ihre formalen Modelle des Geistes sind rechnerisch angemessen. Der Medikamenten-Benutzer klingt psychotisch. Aber von unserer Perspektive aus können wir sagen, dass der extraterrestrische Psychonaut in der Tat über eine profunde Entdeckung gestolpert ist, obgleich er deren Auswirkungen kaum auch nur flüchtig gesehen hat: das Rohmaterial dessen, was wir als visuelle Welt in all ihrer Pracht bezeichnen würden.

Jedenfalls stört es mich, dass unser eigenes Dilemma in einer extremeren Form der Hybris der oben beschriebenen Super-Rationalisten ähnelt. Intellektuell betrübt mich meine Unkenntnis anderer Modi der bewussten Existenz wesentlich mehr als meine kognitiven Befangenheiten oder Argumentationsdefizite innerhalb meines gewöhnlichen Wachbewusstseins. Natürlich würde ich gerne die Mastergleichung einer vereinheitlichten Feldtheorie kennen. Noch lieber wüsste ich, wie es ist, in einer Welt der Echo-Ortung zu leben, wie Fledermäuse – und ich würde gerne die unbeschreibliche Seltsamkeit von LSD, DMT oder Salvia verstehen. Es wird klar, dass das gewöhnliche Wach- und Traumbewusstsein nur zwei von vielen ganz oder teilweise inkommensurablen Bereichen des Empfindungsvermögens sind. Was wir als Wachbewusstsein bezeichnen, war in der adaptiven Umwelt unserer Vorfahren zweifelsohne fitness-verbessernd. Aber es nimmt nur einen kleinen Teil des experimentellen Zustandsraums ein. Unsere Unkenntnis ist umso mehr tückisch, als sie nicht explizit in unserem Begriffsschema vertreten ist. Von innen her betrachtet hat ein Träumer nur wenig Einblick in die Natur eines Traums, selbst in den seltenen Momenten des „luziden Träumens“; und ich befürchte, dass dies auch für das gewöhnliche Wachbewusstsein zutreffen könnte. Leider führt der einzige Weg, die Natur von radikal veränderten (Bewusstsein-)Zuständen auch nur annähernd zu begreifen, ausschließlich über die Untersuchung aus erster Hand, d. h. indem man die neurochemischen Substrate des fraglichen Zustandes instantiiert. Wenn Sie medikamentennaiv sind, können Sie leider nicht nutzbringend darüber lesen. Vergleichen Sie, wie (angeblich) trivial der Unterschied in der Genexpressions-Signatur von Neuronen ist, die phänomenal Farbe und Klang vermitteln. Wer weiß, welche weiteren Erfahrungskategorien sich durch andere „triviale“ bimolekulare Varianten öffnen – von radikaleren neurochemischen Veränderungen ganz zu schweigen. Tausende von gelehrten philosophischen Schriften und Büchern über das Bewusstsein wurden in den vergangenen Jahren von medikamentennaiven Akademikern verfasst. Psychedelische Forscher beklagen, dass zu viele von ihnen die aristotelische Scholastik beschwören, wo doch das, was wir bräuchten, eine post-galiläische, experimentelle Wissenschaft des Bewusstseins ist. Einem intellektuellen Helden am nächsten kommt vielleicht der psychedelische Chemiker Alexander Shulgin, dessen bahnbrechende Methodologie in PiHKAL beschrieben ist. Leider hat Shulgin noch keinen herausragenden Platz im transhumanistischen Pantheon.

Man sollte betonen, dass die Einnahme von Psychedelika kein Schnellfahrschein ist – weder zu Glück noch zu Weisheit. Wenn Sie beispielsweise den Kappa-Opioid-Agonisten Salvinorin A einnehmen, zu finden in Salvia Divinorum (Aztekensalbei), können Sie leicht in einem wachen Alptraum landen. Und es ist leicht möglich, dass eine solche Erfahrung eher unfasslich als aufschlussreich ist. Selbst in einer Gesellschaft sehender Menschen mit einem reichen visuell begründeten Begriffsschema, dauert es Jahre, bis eine von Geburt an blinde Person, die operativ das Geschenk des Sehens zurückerhalten hat, die visuelle Kompetenz meistern kann. So kann das Verstehen der Auswirkungen von radikal veränderten Zuständen gut Jahrtausende in Anspruch nehmen. Ich wage einen Versuch und sage, dass das Begreifen Millionen von Jahren und länger dauern wird. Wie auch immer, unsere Nachfahren sind vielleicht nicht nur superintelligent, sondern auch superfühlend – ausgestattet mit der Fähigkeit, zwischen einer Vielzahl von radikal unterschiedlichen Bewusstseins-Modi hin- und herzuschalten, deren einzige gemeinsame Zutat die molekulare Signatur von Glück ist. Post-humane Beherrschung des Belohnungskreislaufs lässt sie Psychedelika gefahrlos testen, in einer Art und Weise, wie es die meisten heutigen Menschen nicht wagen. Ja, es ist vernünftig, auf Nummer sicher zu gehen; aber als Folge davon ist unser Bewusstsein wohl relativ oberflächlich und eindimensional. Meines ist es derzeit.


h+: Beim Menschen sind gewalttätige, räuberische Instinkte mit den Glücks- bzw. Belohnungszentren verknüpft, die in der Zivilisation keinerlei Nutzen mehr haben. Wir unterdrücken diese Instinkte aufgrund von verhaltensmäßiger Konditionierung, jedoch kommen sie noch immer als Pathologien bei seelisch labilen Menschen zum Vorschein. Würden Sie eine proaktive Gen-Modifikation befürworten, um solche räuberischen Instinkte zu beseitigen und die Menschen fügsamer zu machen?

Proaktive Gen-Modifikation zur Verstärkung unserer Fähigkeit zur Empathie finde ich moralisch bewundernswert. „Fügsam“ ist ein befrachteter Begriff; wenn Sie stattdessen „friedfertig“ sagen, würde ich zustimmen. In einer Ära von Massenvernichtungswaffen und Bioterrorismus kann davon sogar das Überleben der Menschheit abhängen. Bis die Menschen autarke Stützpunkte außerhalb der Erde, auf dem Mond oder Mars, errichtet haben, besteht ein nicht unerhebliches Risiko, dass sich das intelligente Leben selbst auslöscht. Großbritanniens Königlicher Astronom Martin Rees, schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Auslöschung der Menschheit vor dem Jahr 2100 bei etwa 50% (!) liegt. Denn die Raubtiere dieser Welt sind keineswegs auf gewalttätige Kriminelle oder seelisch Kranke begrenzt: Es sind auch „Staatsmänner“, die führende Positionen in Politik und Militär bekleiden. Die genetische Ursache der meisten prädatorischen Verhaltensweisen beim Menschen ist identifiziert: das Y-Chromosom. Allerdings ist dies ein Risikofaktor, mit dem wir uns wahrscheinlich noch eine lange Zeit herumschlagen müssen. Konkurrenzbetontes Alpha-Männchen-Dominanz-Verhalten ist vermutlich die fundamentalste Bedrohung für das, was wir als Zivilisation bezeichnen. Die menschliche Geschichte bis heute attestiert die grauenvollen Auswirkungen von testosteron-geschwängertem männlichen Verhalten. Sozialisation allein scheint nicht auszureichen.

Szenarien prosozialer genetischer Modifikation mögen funktionieren oder auch nicht; sie sind jedoch nicht rein hypothetischer Natur. Die Menschheit steht am Rande einer reproduktiven Revolution. In den nächsten paar Jahrzehnten werden künftige Eltern mehr und mehr die genetischen Spezifikationen ihrer zukünftigen Kinder mit Hilfe von Präimplantationsdiagnostik auswählen. Mangels gesetzlicher Rahmenbedingungen bleibt zu hoffen, dass die meisten Eltern Genotypen liebender, empathischer Kinder wählen und sich gegen „soziopathische“ Allele entscheiden, z. B. für die weniger aktive „Krieger-Gen“-Variante von Monoaminooxidase A, die mit antisozialem und brutalem Verhalten verknüpft ist. Eine ganze Menge unserer hässlicheren Allele bzw. Allel-Kombinationen waren in der Umwelt unserer Vorfahren genetisch adaptiv. Heute können sie unter Umständen katastrophale Auswirkungen haben. Auch auf die Gefahr hin, dass ich wie ein plumper genetischer Determinist klinge: Es könnte letztendlich möglich sein, einiges aus den dunkleren Bereichen unseres Codes auszublenden, und die Expression des Prosozialen zu verstärken. Ein Beispiel hierfür wäre Oxytocin, das „Vertrauenshormon“, von dem kürzlich nachgewiesen wurde, dass es bei der Einnahme von MDMA in reichem Maße freigesetzt wird. Die langfristige Anreicherung der Oxytocin-Funktion könnte uns in natürlicher Weise aufrichtiger miteinander umgehen lassen – nicht nur vertrauensvoller, sondern auch vertrauenswürdiger. Leider würde eine wahllose Verstärkung der Oxytocin-Funktion nur bei universeller Anwendung funktionieren; sie wäre ein machtvolles Instrument sozialer Kontrolle und ein ideales Werkzeug für Prädatoren. Heutzutage haben wir leider allzu oft gute Gründe, den Regierungen und unseren Mitmenschen zu misstrauen. Ja, prosoziale Medikamente und Gentherapie haben zahlreiche Fallstricke. Aber irgendwie müssen wir doch zivilisiert werden.


h+: Die Glück-Bahnen sind konditioniert durch hohes Risiko-/Belohnungsverhalten. Wenn das Leiden abnimmt, wirkt dieser Risiko-/Belohnungsinstinkt nicht mehr so motivierend, d. h. dass Menschen mit immer geringerer Wahrscheinlichkeit bereit sind, ein großes Risiko einzugehen, um größere Belohnung zu ernten. Ist dies eine positive Veränderung im menschlichen Verhalten, und verlieren wir dadurch nicht einzigartige abenteuerlustige und impulsive Aspekte des menschlichen Geistes?

Wir leben in einem Zeitalter, in dem die moderne Technologie ein globales, existenzielles Katastrophenrisiko darstellt. Jedes Eingreifen, das verspricht, unsere Neigung zum Risiko zu verringern, sollte ernsthaft geprüft werden. Wie Sie anmerken, bestehen jedoch subtilere Risiken für die Zukunft der Menschheit als die apokalyptischen Szenarien, die die bekannten Futuristen diskutieren. Eine stümperhafte Art von Paradies-Gestaltung kann die Menschheit in einer zweitklassigen Utopie festnageln, wie Sie sie beschreiben. Eine stagnierende Welt von soma-ähnlicher Zufriedenheit unterscheidet sich außerordentlich von einer Welt, die von vererbten Stufen des Glücks animiert ist. Die politischen Entscheidungsträger täten jedoch wirklich gut daran, jedes vorstellbare Szenario zu prüfen, in denen das Leben (auf irgendeine Art) „schiefgehen“ könnte, wenn erst einmal das traditionelle Signal, dass etwas „schiefgeht“ (also das Leiden) physiologisch nicht mehr existent ist. Neo-Buddhisten oder negative utilitaristische Ethiker behaupten, dass jede Welt ohne Leiden gegenüber dem heutigen Horror eine immense Verbesserung darstellt. Aber nehmen wir einmal an, dass wir ehrgeiziger sind. Wie kann sich die Menschheit dagegen schützen, versehentlich eine andere Art einer „Brave New World“ zu erzeugen, die den vollsten Ausdruck des Lebens im Universum blockiert?

Eine mögliche Antwort hierauf ist, dass die post-genomische Medizin uns nicht nur unsere normale Grundlinie der Glücks wählen lässt, sondern auch die Grundlinie der „Abenteuerlust“. So können sowohl eine Dopamin- als auch eine Opioid-Anreicherung angenehm wirken, jedoch führt eine Erhöhung der mesolimbischen Dopaminfunktion zu verstärkt exploratorischem Verhalten, wohingegen langfristige Verstärkung der µ-Opioid-Funktion allein zu größerer Ruhe führt. Das Erlangen der vollen Kontrolle über unseren eigenen Belohnungskreislauf ermöglicht uns die Wahl, welche Art von Person wir sein möchten – abenteuerlustig und extrovertiert, oder nachdenklich und introvertiert, zum Beispiel. Wenn Sie schon immer ein überlebensgroßer Abenteurer sein wollten, dann könnte die Option einer Veränderung Ihres Genoms begeisterte Überschwänglichkeit zu Ihrem natürlichen Gemütszustand machen. Wenn Sie, auf der anderen Seite, schon immer von Ängsten erfüllt waren, dann fühlen Sie sich vielleicht eher von einem Leben in kontemplativem Glück angezogen. Ich bin mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden, weil nicht klar ist, ob veranlagungsbedingte „Abenteuerlust“ adäquat von Rücksichtslosigkeit unterschieden werden kann. Ich würde einfach behaupten, dass niemand – wie heute – zum Leiden gezwungen sein sollte, um einer Abstraktion wie des „menschlichen Geistes“ willen.


h+: Ein altes Sprichwort sagt, dass Utopia letztendlich nie verwirklicht werden kann, da, ganz gleich, wie perfekt die Dinge auch sind, die Menschen immer etwas finden werden, worüber sie sich beklagen können. Wie modifizieren wir das menschliche Verhalten, um die Nörgler zurückzuschrauben?

Unzufriedene Menschen waren wohl der Motor der menschlichen Entwicklung. Dies ist ein Grund, weshalb es vernünftig sein könnte, unsere hedonische Tretmühle neu zu kalibrieren anstatt alles zu demontieren. Wenn wir Stufen lebenslangen Glücks genießen, können doch funktionale Analogien der Unzufriedenheit den (post-)humanen Fortschritt vorantreiben. Vielleicht ist die Abschaffung des Leidens nicht der Höhepunkt der menschlichen Zivilisation, sondern deren Beginn.

David Pearce
January 2011 2009
with many thanks to translator Stefan Meid. See too 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9)

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